Bilder in der Schwebe halten“

Künstlergespräch zwischen

Max Diel und Dr. Heinz Stahlhut, Berlinische Galerie




HS Dann erzähl uns doch etwas darüber, wo Deine Anfänge liegen. Wie bist Du überhaupt zur Malerei gekommen?

MD Im Grunde begleitet mich die Malerei schon mein ganzes Leben lang. Doch wirklich ernst wurde es, als ich zum Zivildienst nach Amsterdam ging, um dort mit Drogenabhängigen zu arbeiten. Ich hatte mir das alles ganz großartig vorgestellt, bin aber erst mal in ein Loch gefallen. Da habe ich dann nachts gemalt, während ich tagsüber gearbeitet habe.

In der Zeit hatte ich auch mein Coming Out.

Da erlebte ich in der Malerei dann plötzlich eine ganz neue Sinnfülle – unabhängig von Hobby oder dass es Spaß macht. Die Malerei gab mir so etwas wie Halt oder Inhalt im Leben. Und dann habe ich auch beschlossen, ernst zu machen und das zu studieren.


HS Da hätte ich gleich zwei Fragen: Was hast Du gemalt in dieser Zeit, bevor Du wirklich professionell angefangen hast zu studieren? Und womit hast Du Dich da befasst?

MD Das waren „Fensterbilder“. Da habe ich die Situation zuhause, d.h. mein Ausblick aus dem Fenster gemalt. Mich hat dabei stets der Außenraum, der Innenraum und dann manchmal auch die Glasscheibe dazwischen interessiert. Wenn diese z.B. verschmutzt war, dann war mir das ein Anliegen, diese verschmutzte Scheibe darzustellen. Oder die Spiegelung des Innenraumes im Glas. Mich haben diese Fragen damals ziemlich stark beschäftigt: Außenwelt / Innenwelt. Wie viel will ich eigentlich preisgeben nach außen? Wie viel sollen Menschen von mir wissen? Und das habe ich in diesen Fenstern immer so ziemlich 1:1 gesehen. Also Innenraum / Außenraum – und die Grenze dazwischen.

HS Und als Du in Amsterdam warst, hast Du da auch ältere Kunst im Museum angeschaut? Warst Du früher oft im Museum oder hat Dich das nie gereizt?

MD Ich glaube, dass ich damit nicht so viel anfangen konnte. D.h. ich hatte schon lange eine Faszination für Kunstgeschichte, das fing so mit 15 an, betraf aber eher die Moderne. Und das war ganz klassisch: Dali und der ganze Surrealismus. Nach und nach bin ich dann aber auch zu Van Gogh und Picasso gekommen. Das hat mich dann alles ziemlich schnell ereilt.


HS Auf den Surrealismus können wir ja dann später noch mal zu sprechen kommen. Das würde mich schon noch interessieren, ob da was von dieser Faszination geblieben ist. Aber erzähl doch mal so ein bisschen etwas über Dein Studium. Was Du da gemacht hast. Wie ging es dann weiter?


MD Ich habe mich in Amsterdam an der Rietveld Akademie beworben und bin dort dann auch angenommen worden. Das Basisjahr war ein ganz wichtiges Jahr, weil man alle Disziplinen der Schule einmal komplett durchlaufen hat. Das war der Anspruch, dass man nicht zum Fachidioten ausgebildet wird, sondern alles mal gemacht hat. Und das war eigentlich eine sehr spielerische und prägende Zeit. Da habe ich natürlich irgendwann auch die abstrakte Kunst kennengelernt. Wir hatten einen Mentor, mit dem wir alles besprachen und der sagte zu mir in der ersten Unterrichtseinheit: „Es gibt ja auch die abstrakte Kunst.” Und ich dachte wirklich - und sagte das dann auch: „Ja, aber das ist ja Verarschung”. Ich dachte damals wirklich, das sei nicht ernst gemeint. Er musste lachen, weil er selber abstrakter Maler war und sagte: „Nee, nee, das ist schon ernst.” Er hat mich dann herangeführt an die abstrakte Kunst. Und so habe ich irgendwann auch Ellsworth Kelly und Ähnliches zu schätzen gelernt.


HS Und in Holland doch natürlich De Stijl vor allen Dingen, oder?


MD Genau. In Holland hatte das natürlich damals, in der Zeit, eine enorme Tradition. Gerade De Stijl und Piet Mondrian. Und dann gab es natürlich auch Jan Schoonhoven und diese ganzen Zero-Künstler. Die waren unglaublich stark vertreten.


Ich habe zwar geometrisch – kann man fast sagen – gearbeitet. Aber für mich blieb immer ganz stark der Sinneseindruck maßgebend. Ich hatte nie so ein ausgereiftes Konzept. Sondern ich habe eigentlich jeden Tag ein ganz anderes Bild gemalt. Das war auch oft ein Kritikpunkt. Sowohl in Holland als auch später in Berlin, wohin ich dann gewechselt bin. Es musste eine Art „überbordendes Konzept” dastehen. Und dem habe ich mich eigentlich immer verweigert. Die Handschrift selber musste für mich das Bindeglied sein. So ein bisschen wie man das bei Raoul De Keyser sehen kann. Und was auch wichtig war: Ich bin ja regelmäßig nach Freiburg gefahren, wo ich herkomme. Und ich habe dann das, was ich in Amsterdam gelernt hatte, auch im süddeutschen Kontext wieder vorgefunden. Und es kam mir dann so vor, als ob es da noch mal eine andere Art gibt, mit denselben Inhalten umzugehen.


HS Und zwar?


MD Eine sinnlichere, würde ich schon sagen. Die holländische Kunst ist für mich ganz stark auch das „Spiel mit den Illusionen”.... diese optischen Verwirrspiele.... das Trompe l´oeil. Das spielt ja gerade in der alten niederländischen Malerei eine große Rolle....und auch: dieser große Himmel. Eben dieses Spiel mit Wirklichkeit und Realität. Und in der süddeutschen Kunst fand ich doch viel mehr die Sinnlichkeit der Farbe und Materialien anderer Art. Und auch eine gewisse Ästhetik und ein Wohlfühlen bei der Ästhetik, was in Holland gerne unter Generalverdacht stand.


HS Also „schön malen”...?


MD Das „schöne Bild”, also das war in Holland völlig tabu. Eine gängige Redewendung an der Akademie war: „Oppassen dat het niet mooi wordt“.... „Pass auf, dass es nicht schön wird.”


HS Das haben die wirklich gesagt?


MD Ja. Das war status quo. Da bekam man richtig Stress. Und ich bin, weil ich es wichtig fand, auch Aktzeichnen zu lernen, an die Modeabteilung der Rietveld gegangen, um dort Aktzeichnen zu lernen. Aber das musste ich mehr oder weniger geheim halten. Da bekam man Stress, wenn das rauskam.


HS Interessant!


MD Im Grunde habe ich damals auch gar nicht kapiert, dass die Rietveld eine recht experimentelle, konzeptuell ausgerichtete Schule war und dass ich auch nach Leipzig hätte gehen können, wo es völlig anders zugegangen wäre ...all das dass habe ich ehrlich gesagt mit Anfang 20 gar nicht so genau begriffen.


HS Aber dann bist du ja doch von Amsterdam weggegangen und bist dann nach Berlin gekommen.


MD Genau. Das war 1996. Es fand damals schon so eine Art Künstlerbewegung nach Berlin statt. Also das waren die Neunzigerjahre. Da gingen viele nach London. Und nach Berlin. London war eigentlich der „Hot-spot” damals. Das war die Zeit der „Sensation“-Kunst. Aber viele Junge gingen auch damals schon nach Berlin.


HS Und hattest Du da schon ganz konkrete Vorstellungen davon, warum du nach Berlin gehst? Waren das eher private Gründe oder war das wirklich auch künstlerisch? Denn es gibt ja in Berlin eine Tradition von realistischer Kunst. Während man in Holland sagen kann: Da ist die Abstraktion und auch gerade diese geometrische Abstraktion stärker, ist das ja eigentlich in Berlin etwas, das sich nicht so durchgesetzt hat. Sondern hier gibt es ja, angefangen von Dada und Neuer Sachlichkeit doch eben so eine Tradition des Realismus und gegenständlicher Malerei. War das für Dich ein Grund, hier her zu gehen, oder nicht?


MD Nein! Also wenn, dann war das eher eine Abschreckung. Und ich wusste zu dem damaligen Zeitpunkt auch nicht, wo ich heute landen würde. Also ich habe wirklich mein ganzes Studium lang in der vollen Bandbreite bis zum letzten Tag ausgeschöpft. Es war ein privater Grund, muss ich sagen. Meine Mutter lag mehr oder weniger im Sterben. Und ich bin eigentlich auch ein bisschen ihretwegen hierher gekommen. Und dann ist sie auch gestorben. Es war dann so, dass ich an ihrem Totenbett versucht habe, den Tod künstlerisch zu verarbeiten. Und das ist mir mit den abstrakten Möglichkeiten nicht gelungen. Daraufhin habe ich wieder angefangen, figurativ zu arbeiten. Es war aber auch so, dass ich mich schon in Amsterdam unwohl gefühlt habe mit der Abstraktion. Ich hatte das Gefühl, ich kann das jetzt nicht bis in alle Ewigkeit so weiter machen.


Also... Sagen wir es mal so: Es war eine ganz intensive Phase. Zwei Jahre lang habe ich ganz intensiv, jeden Tag im Atelier an diesen abstrakten Bildern gearbeitet. Aber letztlich gab es dieses Bauchgefühl: „Ich bin Mitte 20. Das geht jetzt nicht ewig so weiter.” Vielleicht hätte ich noch mal den Raum erobern und Installationen machen können … Andererseits wollte ich immer Maler sein. Und so war es dann irgendwann naheliegend, den Tod meiner Mutter figurativ darzustellen. Und das habe ich dann eben gemacht. Allerdings war das auch wieder eine Zwischenphase. Danach kam wieder eine abstrakte Periode. Bis Ende der Neunzigerjahre war nicht klar, ob ich ein abstrakter oder ein figurativer Maler sein würde. Und ich muss ganz ehrlich sagen: Ich habe diesen Unterschied auch nie wirklich begriffen. Der war für mich nie wirklich da.


HS Darauf können wir vielleicht nachher noch kommen. Ich hätte da noch eine Frage. Magst Du darüber was erzählen, oder ist das zu privat, wie Du mit diesem Verlust umgegangen bist? Kann man das beschreiben, wie Du das dann konkret in Deinen Bildern verarbeitet hast?


MD Es war einfach so, dass ich generell, in verschiedenen Bereichen meines Lebens, die Präsenz meiner Mutter nach ihrem Tod unglaublich stark gespürt habe. Und in meinen Bildern tauchte sie eben auch auf. Was auch nicht weiter verwunderlich ist, denn gelegentlich habe ich Fotos von ihr als Vorlagen für meine Malerei benutzt.


HS Und das war dann sozusagen eine Form von Abschied nehmen...- noch mal auf eine längere Zeit hin...?


MD Ja, vielleicht kann man das so sehen. Ich kann vielleicht dankbar sagen, dass es noch mal eine intensive Auseinandersetzung war. Letztes Jahr ist mein Vater gestorben, und da kam es mir auch so vor, als ob einem bestimmte Dinge im zwischenmenschlichen Verhältnis durch den Tod eigentlich erst wirklich bewusst werden können.


HS Gut, dann kommen wir noch einmal zurück zu dem, was Du vorhin angeschnitten hast. Dass es für Dich diesen Gegensatz zwischen „abstrakt” und „gegenständlich” eigentlich gar nicht gibt. Inwieweit löst sich das für Dich in Deinen Bildern auf? Ist das durch dieses „Pendeln”, wie Du es vorhin beschrieben hast? Und gibt es auch Phasen, in denen Du gegenständlich malst und dann eher Phasen, die abstrakt sind? Ist das eine Abwechslung oder hast Du das Gefühl, dass in Deinen Bildern selber diese beiden Pole zusammenkommen?


MD Letzteres würde ich sagen. Ich meine, es ist so, dass dieses Pendeln während meiner ganzen Ausbildung da war. Aber als ich dann irgendwann mal fertig war mit dem Studium und ich mich allein in meinem Atelier wiedergefunden habe, da waren es doch nur noch die figurativen Bilder, die übriggeblieben sind. Und da kann man die Jahrtausendwende als Richtlinie nehmen. Seit 13 Jahren habe ich eigentlich nur noch figurative Bilder gemalt.


Dabei geht es letztlich um eine Art „Fusion” oder „Synthese”. Also während ich arbeite, ist oft nicht klar, was auf dem Bild zu sehen sein wird. In diesem Sinne gibt es zwar bestimmte Vorstellungen und oft sind diese auch klar definiert, aber im Grunde arbeite ich ziemlich lange an einem Bild, so, als wäre es ein abstraktes Bild. Und oft ist es auch so, dass durch eine bestimmte Übermalung, indem ich irgendetwas einfach wegstreiche, sozusagen „verneine“, das Bild gleichzeitig überhaupt erst entsteht.


Hier haben wir jetzt z.B. das Bild Papagaien (S. 33). Das ist so ein Bild, wo der Gegenstand immer wieder mal da war. Und dann war er wieder weg ...und dann wieder da! Was bleibt, ist dieses klassische Oszillieren zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion, wie man es ja mittlerweile auch von Marlene Dumas und Luc Tuymans her gewohnt ist.


HS Und was ist dann der Auslöser für ein Bild? Siehst Du irgendwelche Fotos?


MD Also meine Digitalkamera ist wie ein Skizzenbuch. Damit sammle ich einfach Eindrücke. Und ich habe stets einen ganzen Stapel Fotos im Atelier. Wenn ich arbeite, gibt es richtiggehend „Pfade” von Fotos, die auf dem Boden verstreut sind. Und plötzlich habe ich eines in der Hand und versuche, mir etwas auf der Leinwand dazu vorzustellen, und folglich geht der Prozess in eine bestimmte Richtung. Manchmal bleibe ich aber auch sehr nah an der Vorlage.


HS Das heißt: Es ist eigentlich immer ein Seheindruck der Ausgangspunkt für ein Bild. Nicht ein Bild, das jetzt konstruiert…


MD …oder ganz intuitiv gefühlt wird. Nein, es ist schon immer etwas da, was ich gesehen habe. Also jetzt hier hatte ich z.B. eine Postkarte mit Papageien darauf.


HS Und Du lässt Bilder ja eben häufig in so einem Zustand von „Unbestimmtheit”. Darum habe ich nach dem Surrealismus gefragt. Der arbeitet ja auch mit Unbestimmtheiten, die für den Betrachter sehr viel offen lassen. Ist das etwas, was Dich reizt? Bilder so in der Schwebe zu halten?


MD Genau. Im Grunde kann man eigentlich sagen, dass generell, Bilder in der Schwebe zu halten, egal ob zwischen figurativ oder abstrakt oder zwischen „Bedeutung“ und „nicht Bedeutung“, dass das ein ganz grundsätzliches Anliegen von mir ist.


Bei den Papageien war es z.B. so, dass ich mich fragte: “Ja, wieso jetzt eigentlich Papageien?” Und dann fiel mir plötzlich auf, dass da auch das Wort “Papa” drinsteckt. Und mein Vater war gerade gestorben. Also diese Zufälligkeiten, die dann mal einen Sinn haben, aber dann auch wieder keinen, das ist schon etwas, was mich antreibt. Und das lässt sich eigentlich auch 1:1 in einen Pinselstrich übersetzen. Denn der ist auch manchmal zufällig und dann doch wieder absichtlich gesetzt. Mal bildet er etwas ab, mal steht er nur für sich selbst...


HS Als ich das erste Mal vor Jahren bei Dir auf Atelierbesuch war, haben wir auch darüber gesprochen, dass es sich bei Dir um „Szenen” handelt, bei denen man gar nicht so genau weiß: „Was passiert da jetzt eigentlich?“ Manchmal hat es auch etwas Bedrohliches. Man weiß nicht genau: „Auf was blicke ich da ?“ Bei dem Bild Pyroman (S. 15) frage ich mich: „Was passiert da auf diesem Bild? Hat dieser Mann das Feuer selbst angezündet? Aber dann ist er eigentlich auch schon wieder bedroht, so wie er von diesen Flammen ganz eingeschlossen ist.”


MD Ja, zugleich ist er aber auch vollkommen ruhig. Ich mag auch diesen selbstreferenziellen Kontext. Dass die Silhouette des Mannes mit sehr viel Holzkohle gemalt ist und er gleichzeitig wie von Ruß eingeschwärzt erscheint. Das ist ja im Grunde auch ein abstrakter oder sagen wir mal konzeptueller Bildinhalt. Die Illusion des Bildes, die sich an der Realität des Bildes bricht. Das lässt sich auf vielen Ebenen durchspielen. Gerade wenn man mit Collagen zu tun hat - und ich arbeite ja viel mit Collagen. Übrigens: Das Hemd besteht zum Teil auch aus einer collagierten Fläche.


HS …Woraus collagiert?


MD Da hatte ich, glaube ich, ein Hemd auf Japanpapier abgedruckt. Das habe ich dann auf die Leinwand geklebt. Das sieht man oft bei meinen Bildern … Dass es auf der Bildoberfläche Strukturen von beklebten Leinwand- oder Papierresten gibt. Wenn man mit Collage zu tun hat, hat man ja immer mit dieser Thematik der Realität des Bildes zu tun.


Bei dem Bild Sleep II (S. 27), hätte ich das Bild natürlich auch so malen können, dass die Figur „naturgetreuer“ im Bett liegt, als dass sie – wie es jetzt den Anschein hat – schwebt. Dadurch wirkt das Ganze verfremdet, also ein stückweit irrealer, aber in meinen Augen eben auch spannender.


HS Es ist auch interessant, wie die Figur gänzlich unter diesem Muster der Streifen verschwindet…. Dass der Körper dadurch so ganz verloren geht. Denn man sieht ja gar nicht, was in diesem Haufen, der da unten liegt, eigentlich die Arme und wo die Beine sind?


MD Ich mag diese orange-grüne Stelle unterhalb des Knies. Dadurch entsteht ja dieser schwebende Eindruck. Mich erinnert das Ganze an einen Fiebertraum. Das ist natürlich nur zum Teil absichtlich geschehen. Ich habe mir nicht vorgenommen, eine Person zu malen, die im Fiebertraum liegt. Es ist vielmehr der Kitzel oder der Spaß an der Arbeit, Bilder zu malen und dabei etwas über sich selbst herauszufinden. Z.B. auch Erinnerungen aufzuwühlen. Als ich siebzehn war, hatte ich einen Blinddarmdurchbruch und lag mit sehr hohem Fieber im Bett. Man könnte dieses Bild also auch autobiographisch deuten.

HS Es sind ganz häufig Bilder, in denen die Figuren eben keinen direkten Blickkontakt mit dem Betrachter aufnehmen. Figuren, die sich abwenden oder schlafen. Oder wie die Frau, die auf dem Bild Twilight (S. 37) vor der Hausfassade steht und nach unten guckt. Und so weiter. Porträts sind das ja sowieso nicht.


MD Nein, im Grunde nicht! Es gibt zwar einige Porträts. Aber das ist dann gleich wieder ein Thema für sich. Ich finde es schwierig, ein Bild vor sich zu haben, das gleichzeitig Porträt und noch etwas anderes ist. Ein Porträt ist so zwingend… .


Bei dem Bild blue eyed (S. 57) haben zwei unterschiedliche Freundinnen von mir auf der Leinwand zusammen gefunden. Es handelt sich also nicht um die gleiche Person, die da abgebildet ist. Und das merkt man auch – aber gerade dieses Nichtpassen lenkt das Ganze in eine bestimmte Richtung: Dieses Gefühl sich selbst nicht im Spiegel zu erkennen. Im Grunde hat es fast kunstgeschichtliche Relevanz, wenn man z.B. an Narziss denkt, der sich im Spiegel nicht erkennt, wie auf dem berühmten Gemälde von Caravaggio.

HS Licht spielt auch immer eine ganz entscheidende Rolle.

MD Klar. Das ist –denke ich – das Riesenprivileg, das wir als Maler haben, dass wir Licht darstellen können. Das ist fast schon ein bisschen vermessen, aber da fühle ich mich manchmal wie Prometheus. Dass ich das kann und darf. Und dass es mir immer wieder passiert, dass das Bild, während ich male, diese Kraft hat.

Ich war letzte Woche in Amsterdam und habe Gemälde von Vincent van Gogh gesehen und ich war so geplättet von dem enormen Licht, das diese Bilder haben: Diese unglaubliche Strahlkraft, die davon ausgeht. Ich hatte das Gefühl, ich schaue auf einzelne Perlen oder Juwelen.

Das, denke ich, ist ein einziges Privileg! Das ist, als ob wir Gold machen könnten. So wie man auch sagen kann, dass man als Künstler Seele wiedergeben kann, was ja eigentlich auch etwas Unmögliches ist.

HS So wie du es beschreibst, sind es zwei ganz unterschiedliche Weisen, inwiefern man Licht in Bilder bringen kann. Einerseits, so wie bei diesem hier, dass man den Effekt von Licht wirklich darstellt und andererseits, was du bei Van Gogh beschrieben hast, das Licht zu kreieren über die Farbigkeit an sich. Und das kommt ja auch immer mal wieder bei Dir vor: diese Gegeneinanderstellung von Farben, die dann plötzlich aus sich heraus Licht erzeugen. Während z.B. bei Twilight eher dadurch Licht erzeugt wird, dass Du aufhellst oder bei den Haaren der Frau etwas weiß lässt.

MD Also Du meinst einmal mehr so eine Art Studiolicht? Oder wie würdest Du das beschreiben?

HS Nein, es gibt in der Kunstgeschichte ein berühmtes Buch von Wolfgang Schöne Das Licht in der Malerei. Er sagt, es gibt verschiedene Weisen, wie Licht in der Kunst erzeugt wird. Drei große Phasen: Einerseits das so genannte Sendelicht in der mittelalterlichen Malerei, die viel mit Goldgrund arbeitet, wo das Licht aus den Goldgründen heraus reflektiert wird. Dann gibt es das dargestellte Licht in der Zeit der Renaissance bis ins 19. Jahrhundert, wo auf realistische Weise dargestellt wird, wie Licht auf einen Gegenstand fällt: Sei es eine Kerze, die irgendetwas beleuchtet oder die Sonne, die irgendwo außerhalb des Bildraumes steht und durch die Wirkung des Schattens sichtbar ist. Und dann gibt es spätestens im 19. Jahrhundert mit Van Gogh oder auch schon mit Delacroix diese Erzeugung von Licht aus der Farbe heraus. Das bekannteste Beispiel ist von Delacroix, der in seinen Aufzeichnungen beschreibt, dass er eine gelbe Kutsche gesehen hat und der Schatten war dann plötzlich lila. Durch das Zusammentreffen der Komplementärfarben steigern sich diese natürlich in ihrer Helligkeit und Dunkelheit gegenseitig. Und in diesem Fall wird Licht eben nicht mehr illusionistisch dargestellt, sondern es wird aus der Farbe heraus erzeugt.

MD …Ganz unmittelbar, genau.

HS Und das ist ja auch das, was Du machst: Beispielsweise in Deinem Feuerbild, dem Pyroman. Diese schwarzen Linien darin steigern ja nur die Leuchtkraft des Gelb und Rot durch diesen Gegensatz vom Schwarz zu den helleren Farben.

MD Also ich glaube, das spielt bei mir zunehmend eine Rolle: die reine Farbwirkung. Die Farbe als solches.

HS Und das ist auch schon eine Erklärung, wie es Dir gelingt, das Gegenständliche mit dem Abstrakten zusammenzubringen. Denn genau dieses Erzeugen von Helligkeit ist eigentlich eher eine abstrakte Qualität, die sehr viel mehr mit der Farbe an sich zu tun hat als mit einer perfekten illusionistischen Darstellung.

MD Sagen wir mal: Es ist bestimmt eine Bedeutungsebene, die ausgesprochen interessant ist. Für mich ist aber dieses psychologische Moment mindestens genauso wichtig. Das spielt bei dem Pyromanen natürlich auch eine Rolle: Feuer ist doch im Grunde „Seele pur“. Es weiß jeder: Man kann Stunden lang auf Glut gucken und wird ganz archaisch dabei. Kürzlich machte mich eine Freundin darauf aufmerksam, dass es sich bei dem Bild blue eyed um einen ganz bizarren Ort handelt, wo der Spiegel hängt... zumal er auch durch einen Vorhang verhängt ist. ...als ob die Frau auf dem Bild insgeheim, in einem verborgenen Winkel ihres Raumes versuchen würde, sich selbst zu finden. Und auch diese Zufälligkeiten, die ich vorhin schon angesprochen habe: Es sieht aus, als ob sie ein blaues Auge hätte. Das war zuerst gar nicht intendiert. Dadurch kippt das Ganze ins Abgründige.

Weißt Du...diesen Spiegel, den gab es wirklich: Der hing im Zimmer meiner Mutter. Dass er gebrochen ist, das hat auch wieder einen verneinenden Aspekt.

HS Der Spiegel ist ja auch die Metapher fürs Bild: Und wenn Du dann einen Spiegel einführst, der selber in seiner Funktion gestört ist, sagt das ja auch etwas über Dein Verhältnis zur illusionistisch-realistischen Malerei aus.


MD Da gab es ja diese Ausstellung: „Der zerbrochene Spiegel“. Die habe ich im ersten Fachjahr der Rietveld gesehen. Die Ausstellung wurde in Wien und Hamburg gezeigt. Das war Anfang der 1990er Jahre. Marlene Dumas, Luc Tuymans, aber auch Gerhard Richter, Polke und all diese Leute waren dabei. Es ging den Ausstellungsmachern um die Hinterfragung des Bildträgers – dass diese sozusagen schon akademisch verankert ist. So war das im Katalogtext von Hans Ulrich Obrist und Kasper König beschrieben … Daß im Grunde diese Mehrfachsprengung des Bilderrahmens akademisch verankert ist und trotzdem das Bild in seiner illusionistischen Fähigkeit noch erhalten bleibt oder wiedergefunden wird. Das war für mich eine ganz wichtige Ausstellung.


Übrigens waren abstrakte und figurative Maler gleichermaßen vertreten: Agnes Martin und Francesco Clemente z.B. Diese Ausstellung hat mich sehr geprägt. Der zerbrochene Spiegel als Thema: Das ist für mein Werk absolut wichtig und wird es auch noch auf geraume Zeit bleiben, weil es einfach ein Bereich ist, in dem es sich prima arbeiten lässt. Ich meine, auch der Vorhang vor dem Spiegel, den wir auf blue eyed sehen – der erinnert doch an eine Zeit, in der Tafelbilder noch mit einem Vorhang verhüllt wurden. Wenn man das Bild sehen wollte, musste man ihn zur Seite schieben.

HS Schwarzes Meer (S. 17) scheint mir ein typisches Bild zu sein, in welchem die verschiedenen Stadien der Verschlüsselung der Figur enthalten sind: Während dieser Junge eigentlich sehr realistisch und auf den ersten Blick sehr genau zu erfassen ist, ist die zweite Figur doch erst nach einigem Hinschauen aufschlüsselbar. Und die dritte Figur ist von der Erscheinung her zwar schon lesbar, aber dadurch, dass sie eingehüllt ist und so „zusammengezogen“, ist sie dann doch wieder überhaupt nicht greifbar.

MD …Die dunkle ganz rechts? Ich finde, dass bei der linken und der rechten Figur dadurch, dass sie die gleiche Haltung haben, wieder ein abstraktes Moment hineinkommt, so etwas Magritte-haftes.


HS Weil es eine Wiederholung ist?


MD Ja, eine Wiederholung. Und dazwischen ist dann die Frau unter diesem Schirm gebeugt.


HS Vor allem beugt sie sich ja nicht unter den Schirm. Die Figur rechts hält den Schirm mit der Unterseite zu uns. Und das heißt, dass die Frau sich damit vor die Oberseite dieses Sonnenschirms beugt. Das finde ich auch interessant: Es sind alles so rätselhafte Szenen. Da fragt man sich: „Was machen die jetzt?“

MD Man kann schon sagen. Ich male immer so lange an einem Bild, bis es irgendwann rätselhafte Züge bekommt. Ich könnte natürlich auch einfach irgendwelche Personen oder Landschaften malen, aber das interessiert mich nun mal nicht. Da hätte ich auch das Gefühl: Ich werde zu schnell fertig. Das Mysterium, dieses Verschlüsselte: Das interessiert mich wirklich am meisten. Und das ist auch per se eine Parallele zu psychologischen Momenten, weil die Psyche wirst Du auch nie völlig aufschlüsseln können. Du hast immer nur einen gewissen Teilaspekt, den Du gerade einsiehst. Danach verschwindet alles wieder im Dunkeln.

HS Aber das heißt, Du legst das Bild im ersten Gang schon sehr realistisch an? Mit Vorzeichnungen?

MD Das kann ich Dir zeigen. Ich habe diese ganzen Fotos: Alleine in den letzten paar Wochen hat sich schon wieder ein Stapel angesammelt. Das sind alles Dinge, die mich interessieren.

Er überreicht einen Stapel mit Fotovorlagen.

HS Beim betrachtenden Durchblättern der Fotos: Du hast inzwischen aber auch diesen Blick für solche Situationen, das ist unglaublich, dass es so etwas in der Realität überhaupt gibt!


MD Das Bild Scheidungskinder (S. 19) kommt mir auch sehr traumartig vor. Da geht es ja einerseits eine Böschung hinunter, aber dann wiederum läuft der Protagonist scheinbar im Wasser, in welchem sich vielleicht der Mond spiegelt, was ja alles nicht sein kann. Das sind einzelne Versatzstücke, die nicht so richtig zusammenpassen. Und oben rechts kommt mir die Malweise fast vor, wie ein Stück expressionistischer Malerei der 1920er Jahre, das habe ich absichtlich so gelassen.


HS Diese Figur hier unten, das ist ein Hund ist, der von oben gesehen wird, das erklärt sich durch den anderen Hund. Das gefällt immer sehr, wenn das in so einem Schwebezustand gehalten wird, wenn man das Bild erahnen kann, aber das Bild nicht wirklich greifbar ist. Da muss ich immer an diesen Text von Sigmund Freud über das Unheimliche denken. Er sagt, wir fürchten uns in diesem Zwischenzustand der Dämmerung am meisten, wenn wir Dinge gerade noch so erkennen können. Denn die lassen viel Spielraum für Assoziationen und lassen eben auch die Möglichkeit zu, Schreckliches zu assoziieren. Wenn es ganz dunkel ist und man gar nichts mehr sieht, dann fürchten wir uns auch gar nicht mehr so.

MD Dann kommt die Vorstellungskraft so richtig zum Tragen: Das erinnert mich an eine Erfahrung, die wahrscheinlich jedes Kind mal hatte. Dieser Stuhl mit Kleidern darauf, der nachts zu einem Wesen wird. Das habe ich als Kind einmal ganz exzessiv erlebt.


Dass mehrere Bilder einfach nur durch die Stimmung zusammengehalten werden, kann man dann in der Ausstellung, wenn sie einmal hängt, plötzlich merken. Da spielt auch wieder dieser Moment des „Erkennens“ eine starke Rolle.